Hallo Frank...du bist im Winter 2013 quer durch Deutschland gewandert, mal wieder ohne einen Pfennig in der Tasche zu haben. Dazu würde ich dir gerne ein paar Fragen stellen wenn es dir nichts ausmacht ?

 

 Frank:

Du weißt doch wie ich bin, sei nur artig und nett...nein, komm lass los...

 

 Blinde Eule: War diese Reise demnach wirklich notwendig dich auf solch einer nicht gerade ungefährlichen Odyssee zu begeben?

 Welche Reaktionen und Stimmen haben diese Pläne in deinem nahen Umfeld ausgelöst, ich kann mir gut vorstellen das der ein oder andere sich vielleicht kritisch dazu geäußert hat?

 

 Frank: 

Im Freundeskreis stieß ich auf eisernen Widerstand und auf absolutes Unverständnis, ich würde mich unnötigerweise Gefahren aussetzen.

Im Nachhinein muss ich manch Situation zustimmen, dennoch bin ich davon überzeugt das Richtige getan zu haben.

Obgleich wiederkehrende Lebensumstände in der Jugend...

...und dem nun wiederholenden aber freiwilligen Aussetzen sprich Leben auf der Straße momentaner Gegenwärtigkeit, aber auch für die anstehende Ungewissheit in der darauffolgenden Zeit der Zukunft.

 

Blinde Eule: Warst du dir nicht bange, möglicherweise anhand mangelnder Nahrungszufuhr den Fußmarsch abbrechen zu müssen. Ich meine was kann man im Winter schon an Essbares finden mir fiele da so spontan absolut nichts ein, außer vielleicht Tannenzapfen und Grünzeug.

Von was also hast du gezehrt, du wirst doch nicht wieder in Mülltonnen gewühlt haben, dann hast du sicher an Haustüren um Brot und Wasser gebeten?

 

Frank:

Nein verstehst du, wir leben hier in Europa in einer wahrhaftigen Welt voller Hülle und Fülle an wertvollen Gütern und Rohstoffen.

Die Berge an Lebensmitteln welche uns tagtäglich um unsere Münder und Mäuler serviert werden sind von unergründlichen Ausmaßes. 

Niemand wird jemals daran denken oder Sorge tragen, dass es eines Morgens beim Bäcker weder Brot noch Brötchen oder Sonstiges geben wird...ehrlich gesagt stehen wir als Konsumenten bereits im Schlick der Überproduktion, nur um unsere verlangenden und befriedigende Blicke unserer Bedürfnisse zu stillen.

Warum also sollte man sich schämen oder Ekel empfinden im Abfall nach noch verwertbarer Nahrung zu suchen?

Wurst, Käse, Milchprodukte, Gemüse, Obst...Der Container im Hof des Supermarkts bei Aurich verfügte über ein reichhaltiges Angebot.

Du fischst dir die Paprika oder den Apfel heraus, wäscht alles unter fließendem Wasser ab, wo ist das Problem?

 

Blinde Eule: hey reg' dich doch nicht so auf...an was hast du gedacht, auf was kam es für dich in den Momenten deiner Reise wirklich an und warst du der Annahme durch dein Tun die Welt in positiver Weise verändern oder gar verbessern zu können?

 

Frank:

Du lebst 15 Tage im Sinne als armer Hund, reuiger Kater auf der Straße und lernst die Welt dort draußen immer wieder aufs Neueste kennen, das ist der Kern deiner Reise...

 

Der Film von gestern ist kaum in Worte zu fassen und dann triffst du auf eine Gruppe von Menschen welche vor der Tür der Tafel Schlange steht um noch wenigstens etwas Anständiges der letzten Tage für das Weihnachtsfest zu bekommen....

"Leider können wir nichts mehr anbieten" steht angekündigt auf dem Aushang im Schaufenster...Das sind Momentaufnahmen wo du alles in Zweifel ziehst was du tust..."

 

Wofür und für was überhaupt?

Dann scheint alles so sinnlos weil du eh niemals den wahren Trip unter dieser Freiwilligkeit erfühlen kannst und was schon willst du damit am Ende ausrichten und erreichen, nichts!!!???

Doch dann triffst du auf Menschen welche dich positiv beeinflussen indem sie Interesse bekunden und dir geduldig zuhören was du zu berichten hast.

Sie geben Mut und schenken dir die Kraft um das was du tust fortzusetzen.

 

 Der Welt eine Lehre erteilen, sie so zurechtbiegen wollen nach Wunsch und Maß ist nicht meine Aufgabe und ganz sicher nicht meiner Interesse und Anliegen.

 Die Welt ist mein Lehrer und ich ihr Schüler...sie lehrt und klärt mich darüber auf wie übel und grausam es um ihr bestellt ist.

Lernen, büffeln, pauken...bist du wirklich bereit dich einzuschränken?

Wie viel Meter Wurst bist du bereit nicht zu verschlingen und...und...und...um Gutes und Sinnvolles zu tun...

Doch nehme ich trotz dessen mehr als das ich bereit bin zu geben und das stimmt mich unzufrieden.

 

Blinde Eule :Du bist ja auch durch Städte wie Düsseldorf und Köln gelaufen wo Obdachlose, einige zumindest lieber auf der Straße schlafen als im Asyl.

Hast du und wenn nicht, würdest du jemals im Asyl übernachten? Welcher Eindruck ist auf dich zurückgeblieben beim Durchstreifen dieser Nischenwelt ?

 

Frank:

Eine Nacht oder mehrere im Asyl, ich habe oft darüber nachgedacht das zu tun.

Doch ich denke, dass ich so etwas nicht nach der Uhr oder Kommando stellen und umsetzen kann. Viel mehr ist es der spontane Gedanke der mich dort hinführen würde.

Der Geruch von Schweiß, Fusel und Fäkalien bündelt sich im Schlafsaal, einer übergibt sich vielleicht, ein anderer schnarcht, röchelt, schreit, jammert oder stänkert herum.

Da kann es unter Umständen im Rausch zu blutigen Auseinandersetzungen

und Eskalationen kommen.

Ich glaube da muss man schon ziemlich hartgesotten sein um das aushalten zu können, und ich bin mir selbst nicht sicher ob ich dafür schon bereit bin.

 

In den Nischen der Hafenmauer am Rhein von D'dorf haben sie ihre Nester.

Matratzen und Decken sind vom Urin bis zum geht nicht mehr durchtränkt.

Du stehst 20 Meter davon entfernt und der Wind weht dir einen bestialischen Geruch ins Gesicht und du fragst dich wie man so etwas auf Dauer aushalten kann.

Gestern waren sie noch Säuglinge gewickelt in Tüchern, dann waren sie Kinder, gingen im Kindergarten, besuchten die Schule, machten die Lehre und heute sind sie "Gefallene"...was ist da passiert das es dazu gekommen ist ? Dieser Eindruck hat klar Spuren hinterlassen und ich stehe unter Zwang mich damit in meinen Gedanken auseinanderzusetzen...und das ist nicht besonders erfreulich.

Du gehst durch das Eigelsteinviertel in Köln und findest ein völlig anderes Bild vor: In den Fluren der Geschäfte haben sie ihr Nachtlager aufgeschlagen und das sieht alles andere als verwahrlost aus und da wirst du fast neidisch auf solch einer Schlafstelle.

Du bist hautnah als Beteiligter dabei und spürst wie intensiv das Leben auf der Straße ist.

Dadurch hast eine völlig andere Sichtweise und Wahrnehmung als eben jemand, der durch die Stadt bummelt und das nur mit beiläufiger Notiz im Vorbeigehen zur Kenntnis nimmt.

 

  Blinde Eule: Hey jetzt sag mal, wo hast du denn Heiligabend verbracht...wie sah der Tag aus und hat das Christkind an dich gedacht und nicht vergessen?

Familien mit Kindern sitzen gemeinsam vorm Tannenbaum, singen Weihnachtslieder bei Kerzenschein und machen anschließend liebevoll Bescherung...

Duft heißer Bockwürstchen aus der Küche hält Einzug ins Wohnzimmer...dazu Kartoffelsalat und dann das absolute Highlight: heißer Bratapfel mit Vanillesoße...

Ey Alter ich dreh gleich durch, können wir das Interview vielleicht für ne Weile unterbrechen...?

 

Frank:

Hast du nicht gerade eben noch erwähnt, dass du mit dem Fasten begonnen hast...?

Der Morgen war stürmisch und ziemlich mild. In der Nacht zuvor fand ich Schutz in einem abgestellten Pkw-Anhänger in Klein Reken.

In Wulfen entdeckte ich hinter einer Hecke eine ganze Tüte voller Pfandflaschen die ich in Brot und einer Packung Wurst eintauschte.

Ich war darüber so happy, dass es mir völlig wurscht war das es den ganzen Tag bis zum späten Abend nicht mehr aufhörte zu regnen.

14 Stunden Wanderung durch Dorsten, Bottrop, Essen und Mülheim und völlig durchnässt.

Dann stehst du total fertig vor Geräteschuppen eines Baumarkts und sämtliche Türen sind geöffnet und hast freie Wahl: 5***** das Christkind hat dich hier hingeführt, weil es das gut mit dir meinte.

Du kriechst geschafft im Schlafsack und bist einfach nur froh das du nach solch harter Arbeit liegen kannst.

Die Kerze ist angezündet und machst dir eine Scheibe Brot mit Wurst und das kannst du gar nicht beschreiben was für ein Feeling das ist.

Im Jahr 2057 könntest du mich fragen wo ich Weihnachten 2013 verbracht habe...das ist verewigt was "Alfried Krupp in Essen" bis zum letzten Atemzug.

 

 Blinde Eule: 3 Fragen hätte ich noch, dann wärst du entlassen fürs Erste...

Sylvester wo und wie hast diesen Tag verbracht, stell mir das nicht ganz einfach vor wo man da überhaupt übernachten sollte...im tiefen Wald oder im Schützengraben?

 

Frank:

In der Tat, das war eine äußerst schwierige und heikle Angelegenheit.

Heiligabend zieht sich alles zurück und schlummert in Frieden.

An Sylvester sieht das absolut anders aus und im Nachhinein würde ich fast meinen, dass es so ziemlich unmöglich ist einen sicheren Ort für die Nacht zu finden wo dir nichts passieren kann.

Ob der Ort groß oder klein ist spielt da keine gewichtige Rolle...geknallt und geballert wird überall.

Da bist du auch überfragt und dir gehen die Ideen baden wohin sollst du?

In Holzgerlingen fand ich dann ein geniales Versteck im Ladehof eines Discounters, dachte ich.

Doch die Rechnung hatte ich ohne den Wirt gemacht!

Irgendwann lange nach 12 kamen Jugendliche anmarschiert und warfen Böller in die Einfahrt zur Rampe.

Als ich ein Tuscheln vernahm, da wusste ich das sie mich entdeckt hatten und so wurde aus etwas Genialem eine Falle ohne Fluchtmöglichkeit.

Sie warfen mehrere Böller in meine Richtung und da musst du sehen wie du dich da noch schützen kannst.

Ich zog den Schlafsack über meinen Kopf als ein Böller direkt neben mir landete und das Ding explodierte.

Ich beschloss in die Offensive zu gehen und stellte die drei Jungs zur Rede.

Dann kam noch ein vierter dazu und zum Glück hatte der Verstand und Grips und die Sache ging dann glücklicherweise glimpflich aus.

Die Rauchschwaden füllten den Raum, du stinkst wie ein Berserker und die Nacht ist gegessen.

Jugendliche kommen auf die dollsten Dinger, das weiß ich ja aus eigener Erfahrung...aber ich glaube auch das ihnen das schon am nächsten Morgen leid getan hat, was sie da fabriziert haben.

 

Blinde Eule: Da hast du echt Schwein gehabt, die hätten dich ja auch ausrauben und zusammenschlagen können!

Gibt es auch noch etwas Gutes zu berichten und wie fällt dein Urteil über Deutschland aus?

 

 Frank:

Die letzten Nächte waren verdammt hart. An dir ist nicht mehr viel dran und selbst über Tag waren es Minus-Grade. Hinter Leutkirch auf einer Höhe schlug ich mein Lager in einer Hundehütte (sehr kleines Bushäuschen) auf.

Der Wind blies nur aus der falschen Richtung in den Zugang hinein, es war schon sehr eisig und selbst in voller Montur fraß die Kälte sich durch.

Irgendwann traten mir zwei Männer aus dem gegenüberliegenden Gehöft

entgegen und sie wollten wissen was ich da machen würde.

Zehn Minuten später brachten sie mir eine Wolldecke, drei dicke fette Butterbrote mit Leberwurst, einen Apfel und heißen Tee...

Da gehen alle Gefühle mit dir durch und dir kullern die Tränen, dass es so nette Menschen gibt die sich wirklich Gedanken machen und bereit sind zu helfen.

Ich habe viel gesehen und erlebt, die Menschen auf denen ich traf waren überwiegend freundlich und hilfsbereit.

Manche haben dich links liegen lassen und von manchen wurdest du skeptisch inspiziert und schon mal ausgemustert. Wieder andere reckten die Fäuste in die Luft und drohten. Aber das sind wenige Ausnahmen, und das findest überall auf der Welt.

Im Grunde bin ich geneigt zu sagen, dass es mehr oder weniger in Ordnung war und die Stimmung ist ja auch etwas durch die Jahreszeit beeinflusst.

 

 

Blinde Eule: Ich frage dich: Würdest du das noch einmal tun und wo würdest 

Sylvester übernachten?

 

Frank:

Das schließe ich nicht mehr aus und wenn alles im Takt bleiben sollte dann geht die Reise vielleicht mal in den Osten.

Vielleicht gehe ich in den Zoo und hau mich neben einen satten und dösenden Löwen hin...aber weißt du, da fällt mir doch ein sicherer Ort ein...der Friedhof...